RECHTSPRECHUNG

15.03.2022: X ZR 18/20
BGH zu Hilfsanträgen während eines Nichtigkeitsverfahrens

BGH, Urteil vom 15. 03.2022, X ZR 18/20, Fahrerlose Transporteinrichtung

Patentinhaber müssen Hilfsanträge, mit denen sie das Patent verteidigen, rechtzeitig vor der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung ankündigen.

Auch wenn das Stellen von neuen, erstinstanzlich nicht vorgelegten Hilfsanträgen in der Berufungsinstanz grundsätzlich unzulässig ist, kommt der BGH bei o.g. Urteil zu dem Schluss, dass die Patentinhaberin unter bestimmten Voraussetzungen weitere Hilfsanträge in einem späteren Stadium eines Nichtigkeitsberufungsverfahrens stellen darf und diese nicht zwangsläufig wegen Verspätung zurückgewiesen werden müssen.

Dazu wurden folgende Grundsätze formuliert.

  • Die Patentinhaberin hat in der Regel keinen Anlass zur Stellung von Hilfsanträgen zur Abgrenzung vom Stand der Technik, wenn das Patentgericht in einem Hinweis die vorläufige Auffassung äußert, der Gegenstand des Streitpatents sei patentfähig.
  • Legt die Nichtigkeitsklägerin nach einem solchen Hinweis eine Vielzahl neuer Entgegenhaltungen vor, muss die Patentinhaberin überprüfen, ob das ergänzende Vorbringen zu einer anderen Beurteilung führen könnte und ggf. auch geeignete Hilfsanträge stellen. Wenn sich hierbei eine Vielzahl von technischen Gesichtspunkten als potenziell relevant erweist, kann es aber nicht ohne Weiteres als nachlässig angesehen werden, wenn die Patentinhaberin einem einzelnen Gesichtspunkt durch ihre erstinstanzlichen Hilfsanträge nicht Rechnung getragen hat.
  • Hilfsanträge, die einer aus dem erstinstanzlichen Urteil ersichtlichen Auslegung des Streitpatents Rechnung tragen sollen, sind grundsätzlich innerhalb der Frist für die Berufungsbegründung zu stellen. Später gestellte Anträge sind nur zu berücksichtigen, wenn ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögert.

Praxistipp:

Lange galt der Grundsatz: zeige Stärke und reiche keine (unnötig große) Anzahl von Hilfsanträgen ein – dieser lässt sich wohl nicht länger aufrechterhalten.

Patentinhaber sollten die Strategie im Nichtigkeitsverfahren, insbesondere im Rahmen der Berufung, zu Beginn des Prozesses umfassend besprechen und planen.

Die genaue Analyse der aktuellen Situation und das Voraussehen verfahrensrelevanter Fragen kann zu mehr Aufwand am Anfang, aber auch zu einem Erfolg am Ende des Verfahrens führen.

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